„Es geht um was!“ Rudolf Hrbek zur Europawahl

Was die Zahl der Lobbyvertreter angeht, sieht Rudolf Hrbek die „europäische Hauptstadt“ Brüssel auf einer Stufe mit Washington. Im Interview über die Europawahl im Mai fordert Hrbek eine Sperrklausel.

Interview von Leon Willner

Hand auf’s Herz, wie wichtig ist Ihnen die Wahl am 26. Mai?

Rudolf Hrbek: Sehr wichtig. Ich beobachte mit Bedauern, wie die Wahlbeteiligung, auf die gesamte EU hin betrachtet, seit 1979 stetig abnimmt.

In der Slowakei lag die Wahlbeteiligung 2014 bei knapp 13 Prozent.

Das ist natürlich enttäuschend. Auch bei uns in der Bundesrepublik lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Bei einer Europawahl geht es eben nicht um Präsidenten oder Minister – doch das darf nicht mehr als Argument tragen. Die Leute sollten wissen: Es geht hier um was!

Viele kleine Bewegungen in Deutschland haben das erkannt. 41 von ihnen hat der Bundeswahlleiter zur Europawahl zugelassen. Ein neuer Höchststand.

Ja, allerdings haben in Deutschland nur fünf bis sechs Parteien eine realistische Chance, im europäischen Parlament eine Rolle zu spielen. Die Möglichkeiten eines einzelnen isolierten Abgeordneten tendieren gegen null. Deswegen bin ich ein unbedingter Befürworter einer Sperrklausel, wie wir sie aus den Bundestags- und Landtagswahlen kennen.

Wie hoch wäre eine solche Sperrklausel zu setzen?

Im Europäischen Parlament wurde beschlossen, dass sie zwischen zwei und fünf Prozent liegen soll. In Deutschland hat der Gesetzgeber zunächst fünf Prozent angesetzt, das hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2011 mit einer knappen Entscheidung gekippt. Fünf Richter gegen drei.

Das Argument war, dass dies ein zu schwerwiegender Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit des Wählers und die Chancengleichheit der Parteien sei.

Doch das Gericht hat die tatsächlich erreichte Stellung des Parlaments nicht angemessen gewürdigt. Es hat nicht berücksichtigt, dass das Europäische Parlament tatsächlich schon Mitgesetzgeber ist und daher keine großartig anderen Maßstäbe gesetzt werden sollten, als im nationalen Parlament.

Mit den gleichen Argumenten wurde zwei Jahre später auch eine Drei-Prozent-Klausel abgelehnt.

Das Ergebnis war, dass wir dann bei der Wahl 2014 sieben kleine Parteien hatten, die zusammen 7,4 Prozent der Stimmen gewonnen und jetzt je ein Mandat haben. Da sind wir wieder bei den Einzelkämpfern, die in der Arbeitswirklichkeit des Europäischen Parlaments praktisch keine Rolle spielen.

Das EU-Parlament? "Mühselige Kleinarbeit"

Was ist Ihre Meiung zur „PARTEI“ von Satiriker Martin Sonneborn?

Ich kenne Herrn Sonneborn nicht persönlich. In Europa kann jeder antreten und versuchen, für sich und seine Sache Werbung zu machen. Ich möchte Herrn Sonneborn nicht zu nahe treten, aber auch er wird gemerkt haben, dass das Europäische Parlament mühselige Kleinarbeit ist. Da ist man als einzelner Abgeordneter schlicht und einfach verloren und wird keine Rolle spielen. Mit dem Mandat geschmückt kann man nur außerhalb der Parlamentsarbeit ein bisschen Wind machen.

Das Parlament steht oft nur im Schatten der Kommission. Kann man als einzelner Parlamentarier überhaupt etwas über das Europäische Parlament erreichen?

Das mit dem Schatten passt nicht mehr. Nehmen Sie die Urheberrechtsreform. Man hat sich in der öffentlichen Diskussion vor allem darauf konzentriert, was im Europäischen Parlament bestimmt wurde. Aus einem einfachen Grund: Das Parlament hat Mitentscheidungsrechte. Der Europäische Rat, in dem die zuständigen Fachminister der Mitgliedsstaaten sitzen, kann nicht alleine entscheiden. Das Parlament muss ausdrücklich zustimmen. Sonst kommt es nicht zum Gesetz. Vielen ist immer noch nicht klar, dass das Europäische Parlament eine Bedeutung hat, die möglicherweise größer als so manches nationales Parlament in Europa ist.

Könnte das ein Grund sein, warum jetzt so viele kleine Parteien ihre Chance wittern, Europa zu verändern?

Das mag einer der Gründe sein. Wenn jemand mit der Parole „Ich will Europa verändern“ antritt, dann ist das sehr vereinfachend. Es gibt viele Individuen, die eine Chance sehen, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Da spielen unterschiedliche Motive eine Rolle. Sie werden es erleben: In den nächsten Wochen werden wir mit Namen und Parteien konfrontiert, von denen wir noch nie etwas gehört haben.

Niemand hat dieses Konstrukt erwartet

Auch Kleinstparteien haben einen Anspruch auf Wahlkampfauftritte in Fernsehen oder Hörfunk.

Ich will das nicht lächerlich machen. Nur, diese Kleinstparteien werden so gut wie nichts beitragen können, wenn es darum geht, innerhalb des vereinbarten Rahmens Probleme zu bearbeiten und zu lösen.

Von welchem Rahmen sprechen Sie?

Die Europäische Union hat sich über 60 Jahre entwickelt. Wir haben jetzt ein Konstrukt, das niemand in dieser Form erwartet hat. Die EU hat sich den Vertrag von Lissabon als feste Vereinbarung gegeben. In diesem gegebenen Rahmen gestaltet die EU Politik. Wir haben überall in Europa politische Herausforderungen, bei denen es sich lohnt, dass man sie nicht allein anpackt. Wir können das nur gemeinsam machen und zwar so, wie die Europäische Union im Moment strukturiert ist.

Ihr Kollege Hütte Grossmann sagt, dass es die „Vereinigten Staaten von Europa“ politisch betrachtet längst gibt. Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, geht zu diesem Begriff auf Distanz. Müsste „mehr EU“ ein Teil der öffentlichen Debatte in Europa werden?

Na ja, die Bezeichnung „Vereinigte Staaten von Europa“ ist zunächst mal nur ein Etikett. Das kann einem gefallen oder nicht. Ob es sachlich zutreffend ist, hängt davon ab, was hinter dem Etikett steht. Die EU ist eine internationale Gemeinschaft, die viel mehr ist als bloß eine Organisation. Wenn das gemeint ist und weniger der Staatscharakter an sich, dann ist das eine richtige Bezeichnung.

Professor Rudolf Hrbek war häufig Gast im Europäischen Parlament. Das Thema EU begleitete seine Forschung und Lehre an der Universität Tübingen, an der er seit 1973 lehrt, schwerpunktmäßig. Zuletzt veröffentlichte er 2017 als Herausgeber mit Martin Große Hüttmann die Schriftreihe „Hoffnung Europa – Die EU als Raum und Ziel von Migration“

Foto: Rudolf Hrbek

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