Busfahren in … Ruanda

Will man in Ruanda von A nach B, steigt man ganz einfach in den Bus. Einfach? Denkste! Schon das Betreten des Busbahnhofs ist eine Herausforderung.

Empfangskomitee, roter Teppich, Marschkapelle: einmal wie ein Staatsgast empfangen werden! Wer innerhalb Ruandas mit dem Bus unterwegs ist, kann dieses Gefühl täglich erleben. Nur ohne Marschkapelle. Und ohne roten Teppich. Am Busbahnhof Nyanza/Kicukiru der Hauptstadt Kigali steht das persönliche Empfangskomitee jedoch zu jeder Zeit bereit. Du willst durch das Haupttor in das Innere des Busbahnhofs vordringen? Nun, dann mach dich auf überschwängliche Begrüßungen gefasst!

Nichtsahnend stolpere ich durch das Tor. Aus den Schatten der Bushäuschen erheben sich im Nu acht Männer: „Muraho, muraho!“, ruft es mir entgegen. Das verstehe ich noch, den Rest des heranbrausenden Geschreis nicht mehr. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. „Moment Mal, ich will doch nur den Bus neh…“, noch bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, stehe ich dort, wo sich mich haben wollen. Eingekreist von wild gestikulierenden Männern.

Ruanda ist ein kleines Land. Das afrikanische Binnenland hat kaum die Fläche von Niederbayern und Oberbayern zusammen. In wenigen Stunden kommt man mit dem Bus überall hin. Mein Ziel ist das Landesinnere, Nyamata, südlich von Kigali, eine Stadt mit besonders schrecklicher Vergangenheit während des Genozids. Ich möchte das Genocide Memorial dort besuchen. „Am Busbahnhof kannst du dir einfach ein Ticket für den nächsten Bus nach Nyamata ziehen“, höre ich noch Richard sagen. Richard ist mein Gastgeber in Kigali. Richard hatte mich nicht weiter vorgewarnt.

Die Männer fangen an, mir nacheinander die Hand zu schütteln. „Sehr nett“, denke ich. Dann beginnen sie, ungehalten an mir herumzuzerren. „Nicht mehr so nett“, denke ich. Bald kristallisiert sich heraus, dass es sich um zwei Parteien handelt. Die eine Seite arbeitet für das Minibus-Transportunternehmen „Ugusenga“. Ugusenga bietet Fahrten nach Nyamata an. Die andere Seite arbeitet für das Minibus-Transportunternehmen „Excel Tours“. Excel Tours bietet Fahrten nach Nyamata an. Genau das ist das Problem. Zwischen beiden Seiten hat sich ein erbitterter Wettstreit entfacht. Ali gegen Frazier, Lauda gegen Hunt, Ugusenga gegen Excel Tours. Der Ring dieses Wettstreits ist der Busbahnhof. Hier stehen die Männer von Ugusenga und Excel Tours den ganzen Tag über und werben um die Gunst der potentiellen Fahrkunden. Was heißt stehen? Sie gestikulieren, sie schreien, sie zerren einen hin zum Bus – zu ihrem Bus!

Eine Abfahrt muss sich lohnen

Feste Abfahrtszeiten nach Nyamata gibt es nicht. Die Busse folgen einem logischeren Prinzip als dem der Zeit: sie fahren erst, wenn sie voll sind. „Um lange Wartezeiten zu vermeiden, wäre es klug, in den volleren Bus einzusteigen“, denke ich und bin von meiner Geisteskraft begeistert. Nun denn: Links „Ugusenga“, rechts „Excel Tours“. Welcher ist voller? Schwer zu sagen, die Männer blockieren die freie Sicht. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass auf dem Excel Tours mit großen Lettern der Slogan „Jesus is King“ prangt, rot und flammenverziert. Ich steige in den anderen Bus. Flammen möchte ich auf einem Bus nicht sehen. Ich hätte sowieso keine Wahl gehabt. Durch eine gekonnte Aufstellung gelingt es drei „Ugusenga“-Mitarbeitern, mich erfolgreich auf ihre Seite zu ziehen. Bis in den Innenraum des Busses gewähren sie mir Begleitschutz. Nochmal anders entscheiden? Unmöglich.

Vom Inneren des Buses kann ich mir das Spiel wie von einer Tribüne aus ansehen. Ich stelle fest, dass es sich bei meiner Begrüßung nicht um die „extra care“ für Touristen handelte. Auch jeder Einheimische wird bei Betreten des Bahnhofs erst einmal „eingeschrien“.

Der Busfahrer spielt eine entscheidende Rolle in diesem Wettkampf. Das merke ich spätestens, als ich im Inneren Platz genommen habe. Ruhig dasitzen und warten ist nicht. Immer wieder schert der Bus ruckartig nach vorne aus, beschleunigt und kommt erst knapp vor dem Bushäuschen wieder zum Stehen. „Ja ist denn der von allen guten Geistern verlassen?“, rufe ich und ernte verwunderte Blicke durch meine Sitznachbarn.

Fahren wir schon los? Nein, aber genau das sollen die jetzt im Busbahnhof ankommenden Fahrgäste denken. Die Männer brüllen los und deuten auf den beschleunigenden Bus. Sodann nimmt ein großer Mann mit Reisetasche hektisch sein Herz in die Hand und beginnt schon vom Torbogen aus zum Bus zu sprinten. Er verliert dabei seinen Hut. Der Bus bleibt stehen, lässt den Mann samt Tasche einsteigen und fährt ganz langsam wieder zurück zu seiner Ausgangsposition. Einer der Männer bringt dem Großen seinen Hut. Losfahren ist nicht, der Bus ist noch nicht voll.

Für die Einschreier ist jetzt „Crunch-Time“

Vor-, zurück, vor, zurück. Beide Busfahrer überbieten sich regelrecht im Nicht-Losfahren. Jeder einsteigende Fahrgast wird wie die Gewinn der Weltmeisterschaft bejubelt. Die Männer von „Ugusenga“ scheinen die besseren Argumente zu schreien, mein Bus füllt sich etwas schneller. Dann wiederum gelingt dem Busfahrer von „Excel Tours“ ein Coup, als er mit einem gewagten Antäusch-Manöver eine vierköpfige Familie zum Einsteigen bewegt. Welches Unternehmen macht das Rennen, welcher Bus kommt als erster los?

Als ich den Bus schon für rappelvoll halte, klappt die Dame, die die Tickets abstempelt, neben den Sitzreihen rechts und links noch Hocker in den Gang aus. Wieder nichts. Zur Mittagszeit strömen jetzt immer mehr Menschen in den Busbahnhof. Für die Einschreier ist jetzt „Crunch Time“. Jeder Fahrgast zählt.

Endlich, der Bus ist bis auf den letzten Quadratmillimeter voll mit Insassen. „Vielleicht gehen ja noch ein paar Passagiere aufs Dach“, scherze ich mit meiner Sitznachbarin, die mich nur schief anschaut – als hätte ich gerade versucht, ihr die Relativitätstheorie zu erläutern. Das tatsächliche Losfahren des Busses bemerke ich gar nicht mehr. Zu oft ging es vor und dann nur wieder zurück.

Plötzlich schrecken die Fahrgäste auf, wie vom Blitz getroffen legt der Busfahrer eine Notbremmsung ein und hupt mit seinem Bus die „Sinfonie mit dem Paukenwirbel“ von Haydn nach. Die Tür des Busses bleibt zu, er wollte tatsächlich losfahren. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof wäre er doch glatt in den jetzt ebenso vollen „Excel Tours“ hineingerasselt. Beide Busse fahren gleichzeitig ab. Brav hintereinander auf ihrem Weg nach Nyamata.

Fotos: Leon Willner

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